Sonne, Wind und Meer

Wanderferien 30. April – 6. Mai 2006 in Südfrankreich

 

30. April 2006

Die Fahrt durch den Frühling ist wunderschön. Die Bäume blühen; über den Rapsfeldern liegt  ein gelber Schimmer. Savoyen ist grün und die Bauernhäuser tragen ihre Walmdächer wie Mützen. Wir fahren in den Süden – Ginster blüht an der Autobahn.

Wie Pierre Wannaz, der Reiseleiter versprochen hat, erreichen wir Saint-Cyr-sur-Mer um 19 Uhr und beziehen unsere Zimmer im Hotel Les Lecques. Das Grand Hotel  „La Belle Epoque“ strahlt die Noblesse eines vergangenen Jahrhunderts aus. Bequeme Sessel laden in der Lounge zu einem Long Drink ein; es wird Zeit, die innere Uhr auf Ferien-Rhythmus einzustellen.

 

1.     Mai 2006

Das Frühstücksbuffet ist reichhaltig – wir können uns gebührend für die kommende Wanderung stärken. Rätselraten: Welcher Krug enthält Kaffee? Wo hat’s heisses Wasser? Und die Milch? Im Dorf kaufen wir Picknick ein. Die Nicht-Wanderer unserer Gruppe gestalten ihren Tag nach eigenen Wünschen.

Die Ausfahrt vor dem Hotel ist schmal, das Tor ein Nadelöhr. Zudem sind links und rechts des Weges Privatautos parkiert. Alles Hupen nützt nichts – niemand regt sich. Die Leute schlafen am heutigen 1. Mai ihren verdienten Feiertagsschlaf. Es gibt kein Durchkommen, ausser – ja ausser...

Unsere Mannen krempeln die Aermel hoch und lüpfen das erste Hindernis zur Seite. Aus dem Nachbarhotel eilen schuldbewusste schlaftrunkene Gestalten herbei und die Durchfahrt wird frei.

Wir sind auf dem Sentier Littoral, einem wunderschönen Wanderweg durch Pinien- und Kiefernwälder. Bald geht es obsi, dann wieder bergab. Die Luft ist herrlich – der Blick aufs Meer grossartig. Wir kommen zu einer Bucht. Das Wasser wechselt zwischen Türkis- und dunkelblau. Es ladet zum Bade... Wenn die Temperatur so warm wie blau wäre... So aber bewundere ich die wenigen wasserfesten Franzosen, die sich in den Wellen tummeln.

Die Menschheit feiert den 1. Mai – Tag der Arbeit! Ganze Sippschaften ziehen mit Sack und Pack, mit Kühltaschen und Campingtischen, mit Kinderwagen und Liegestühlen in die Bucht. Verliebte Pärchen, tschuttende Buben und sonnenbadende Schönheiten sind beschäftigt; ein paar Männer spielen Boule. Die Ferienstimmung ist greifbar und ansteckend. Wir geniessen unser Picknick. Fredi und ich stossen auf 47 gemeinsame Jahre an  - wir feiern unseren Hochzeitstag unter Pinien.

In Bandol erwartet uns Werner, der Chauffeur. Er bringt uns nach Sanary-sur-Mer. Hier wimmelt es von Menschen - Touristen, Franzosen, Amerikaner. Man schlürft ein Bier, leckt ein Eis, schlendert dem Quai entlang.

In Le Castellet, einem kleinen Ort auf einem Hügel, geniessen wir einen Kir und die atemberaubende Aussicht – das wohlige Gefühl von süssem Nichtstun rieselt mir über den Rücken. Man möchte hier auf dieser Terrasse sitzen bleiben, die Zeit still stehen lassen und keinen Zentimeter über die Nase hinaus denken. „Nehmt diese schöne Erinnerung und trägt sie mit euch ins Tal“ philosophiert Peter Stutz und wir brechen auf.

 

2.     Mai 2006

Ein neuer Tag erwacht. Vor unserem Fenster liegt der Hotelpark. Helles, fast weisses Kies bedeckt den Platz bis zur Treppe, die in den tiefer liegenden Teil führt. Yuccas, Palmen, Oleander, Pinien und Zypressen bilden eine zauberhafte Kulisse. Im Hintergrund leuchtet das Meer.

Heute fahren wir alle zusammen nach Marseille. Auf der Reise informiert uns Pierre über diese drittgrösste Stadt Frankreichs. Dazu weiss er Geschichten aus Vergangenheit und Gegenwart, über Pfarrer und Bischöfe, über Land und Leute. Nach einer kurvenreichen Strecke ausserhalb Marseilles trinken wir Kaffee am Ende der Welt – le bout du monde. Man solle nicht versäumen, die Toilette aufzusuchen, hat Pierre uns geraten. Es lohnt sich: Durch die Terrasse kommt man an der Bar vorbei und in den  hochherrschaftlichen Speisesaal. Die Toilette gleicht einem Salon. Der pompöse Spiegelaufsatz trägt Blumengirlanden und marmorne Frauenköpfe und aus Schwanenhälsen und –Schnäbeln rieselt Wasser auf unsere Hände. Weil es so schön ist, suche ich das Boudoir gleich zweimal auf.

Die Kirche Notre Dame de la Garde hoch auf dem Hügel über Marseille ist eine Wallfahrtskirche – entsprechend viele Menschen besuchten sie und besuchen sie noch immer. Der Rundblick von der Terrasse aufs Meer und die nahen Inseln macht mich ebenso andächtig wie die weihrauchgeschwängerte Luft in der Kirche.

Marseille fasziniert mit seinem Gemisch aus alt und neu. Noch finden sich Zeugen seines römischen Ursprungs. Auch heute drängen sich Menschen aller Prägungen durch Gassen und Strassen. Auf dem Markt locken Farben und Düfte, Gemüse und Früchte.

Die Canebière, Hauptverkehrsader der Stadt, seufzt unter dem Feierabendverkehr. Ein Policier regelt den Strom und beherrscht die Kreuzung. Es gramselt wie in einem Bienenkorb – Laster, Busse, Töffs, Autos, Velos ... Und hier noch die Feuerwehr. Die Polizisten sind allgegenwärtig – zu Fuss, auf Motorrädern, mit dem Velo.

 

3.     Mai 2006

Vor unserer Wanderung zum Massif de la Sainte Baume besuchen wir die riesige gotische Kathedrale in Saint-Maximin. Der wunderschöne Kreuzgang ist heute Teil eines Hotels, das sich in den ehemaligen Klostergebäuden befindet.

Der Markt ist reine Verführung. Hier findet sich alles, was man zum Leben braucht. Honig, Olivenöl, Kerzen, Schuhe, Kleider, Werkzeug, Gemüse, Früchte – es scheint, hier sei sogar die Zeit grosszügiger vorhanden als im hektischen Rest der Welt.

Der Bus bringt uns zum Ausgangspunkt unserer Wanderung. Schmale Strasse, engste Kurven – hin und wieder ziehe ich den Atem ein, versuche nicht hinzusehen. Werner aber bringt uns sicher zum Start.

Wir besuchen die Grotte der Maria Magdalena, einen berühmten Wallfahrtsort. Der steile Aufstieg zur Krete belohnt uns mit einer umwerfenden Aussicht. Zuoberst auf dem St. Pilon steht eine kleine Kapelle – hier nehmen wir unser Picknick. Der Wind begrüsst uns stürmisch, zerrt an unseren Jacken, zerzaust uns die Haare und pfeift uns um die Ohren.

Der Abstieg führt durch einen Zauberwald. Eichen, Buchen und Eiben - Bäume wie Monumente. Sie sollen bis zu 1000 Jahre alt sein. Manche sind hohl, bieten tausenden Kleintieren den nötigen Lebensraum.

Die Strasse ist schmal, der Gegenverkehr rege. Es wird kritisch. Da kommt aus dem Nichts ein Auto, fährt uns vor und bahnt uns den Weg – la Police, Freund und Helfer. Ehrfurchtsvoll weichen Traktoren, Lastwagen und sogar Töffs zur Seite und wir passieren unbehelligt wie grosse Herrschaften in ihren Kutschen die hohle Gasse.

 

4.     Mai 2006

In La Ciotat steigen wir zum Chemin des Crêtes. Nach kaum einer Viertelstunde lassen wir die Häuser hinter uns und die herrliche Vegetation heisst uns willkommen: Lila und weisse Zistrosen, die blauen Sterne der Binsenlilien, hohe Rosmarinbüsche, Thymian, und, und.... Der markante Felsen, der Adlerschnabel, zeigt sich hier von der besten Seite. Es geht auf und ab in stetem Wechsel. Die Aufstiege trainieren die Lungen, die Abstiege gehen in die Knie. Meine schlottern zeitweise ein wenig.

Auch diese Wanderung ist eine süsse Rosine aus dem ganzen Wochenkuchen. Nach drei Stunden Marschzeit treffen wir Werner mit dem Bus. Auch die Nichtwanderer geniessen auf der Fahrt immer wieder die Aussicht. Dann fahren wir kurvenreich und steil nach Cassis. Ein kleiner Zug bringt uns vom Parkplatz ins Städtchen. Eine Schifffahrt zu den Buchten der Calanques bietet sich an. Beizlein laden zu leiblichen Genüssen ein – das Leben ist schön.

 

5.     Mai 2006

Eine viertelstündige Schiffahrt zur Insel Porquerolles. Diese Insel ist ein kleines Paradies. Alles ist da: Felder, Wälder, steile Küste, liebliche Buchten. Vor einer Höhle an den ockerfarbenen Felsen bewacht eine Möwe ihre Brut. Ihrem Blick entgeht nichts – ich möchte ihr nicht ins Gehege kommen. Kaum haben wir uns zum Stundenhalt niedergelassen, lässt sich einer dieser imposanten Vögel in sicherem Abstand auf einem Stein nieder. Aufmerksam beobachtet uns die Möwe. Im Flug erhascht sie mein Apfelbütschgi.

Müsste ich mich jetzt für die schönste Wanderung dieser Woche entscheiden, die Wahl fiele mir schwer. Fredi sagt, immer die gegenwärtige sei die schönste gewesen. Das Heute, das Jetzt geniessen – wieder geraten wir ins philosophieren.

Vor dem Nachtessen gehen wir in ein Beizlein am Meer zum Apéro. Ich lausche den Wellen, vernehme das Lachen spielender Kinder, spüre den Wind in den Haaren und wieder steht die Zeit still.

 

6.     Mai 2006

Tagwache 5.45 Uhr. Abreise um 7.30 Uhr. Wir sind – wie gewohnt – äusserst pünktlich. Die Fahrt: Abschied von der Küste, vom Meer, von Zypressen und Pinien, vom Licht der Provence.

Durch das Rhonetal – das Grün wird grüner. Akazien blühen, Ginster säumt die Autobahn. Frankreich ist gross und breit und lang, lang...

Die Rapsfelder am Mont sur Rolle leuchten goldgelb und heissen uns willkommen.

 

Unserem Reiseführer Pierre und dem Chauffeur Werner sage ich meinen herzlichen Dank; sie haben uns ein besonders schönes Fleckchen Erde gezeigt. Und dass wir nun gesund und wohlbehalten wieder nach Hause zurückkehren, verdanken wir diesen beiden Reise-Männern und einem gütigen Schicksal.

 

                                                             Verena Sandmeier                                            zurück